Geschichten für Männer in Ekstasen und anderen E r w e i t e r t e n ZUSTÄNDEN
TITELSCHUTZ UND ALLE RECHTE - ©- Claudio de Ceola
Diese
Kurzgeschichte wurde mehrfach öffentlich gelesen. Die erste Lesung erfolgte
auf der Veranstaltung:
24
Stunden Leserkette für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit – CENTRALSTATION
- -Staatstheater Darmstadt
KARNEVAL in KÖLN – von CLAUDIO DE CEOLA
“Und
du denkst wirklich, daß ich damit überall hin gehen kann?” fragte mich
meine Prinzessin ängstlich.
„Aber
natürlich Liebste, alle tragen heute hier Kostüme und jeder versucht
so verrückt und ausgefallen wie möglich auszusehen.“
Sie
blickte zögernd in den Spiegel und drehte sich hin und her.
„Ich
verspreche dir, du fällst nicht auf. Im Karneval läuft jeder so herum
wie er Lust hat. Kein Mensch interessiert sich für dich, höchstens vielleicht,
weil du so wunderschön bist.“
Sie
zupfte noch einmal an ihrer Orchideenmaske und schien sich dann
entschlossen zu haben.
Ich
zündete eine Kerze an, löschte das Licht und führte sie zu dem dunklen
Eckfenster des Hotelzimmers. Sie lehnte sich an mich. Ich fühlte ihre
Hand ganz sanft auf meinem Arm und empfing einen Schauer von grenzenlosem
Glück. Zum Kölner Karneval zu fahren war meine beste Idee bisher. Von
heute an würden wir immer so froh und unbeschwert reisen. Ich könnte
sie als Theaterschauspielerin ausgeben oder vielleicht würden wir auch
einfach in Rio de Janeiro leben.
Wir
konnten den ganzen Platz vor dem Hotelfenster überblicken. Das war wirklich
ein Fest! Funkenmariechen wurden die Tambourmädchen hier genannt. In
bunten Jacken, kurzen Röckchen und weißen Höschen wirbelten sie ihre
Stöcke und Fahnen durch die Luft. Andere warfen Kamellen und Blumen
unter die Seeräuber, Fledermäuse, Hexen, Ölscheichs, Indianer, Känguruhs
und Toreros. Fahnengeschmückte Wagen mit Geistern, Feen und Elfen fuhren
vorüber. Sogar ein Esel auf einem Fahrrad zog einen Leiterwagen mit
sechs Gänsen darin. Mir gefiel die Forelle am besten. Mit großem Busen
und einer Krone auf dem Kopf verteilte sie aus einer Schatztruhe Goldbarren
vom Meeresgrund.
Das
waren goldfarbene Fischdöschen mit Sardinen. - Ich beobachtete
die
Prinzessin von der Seite. Ihr Gesicht war von einem Glücksschleier überzogen,
die Straßenlichter blitzten Sterne in ihre Augen und ganz kleine Tränen
klebten wie Bernsteinperlen an ihren Wimpern.
Gerade
begann weit entfernt eine Karnevalskapelle zu rasseln und zu schmettern:
Tätärä - Tätera - schrumm- ptsch.....
Leuchtfeuerwerk
zischte über den Platz zum Rhein hin und über der Rheinbrücke glitzerten
kleine Schneeflocken in einem Gemisch aus Konfetti und Dunst im Licht
der Straßenlaternen.
Ich
zog meine Geliebte an mich: „ Komm, wir laufen einfach
dazwischen,
tanzen, trinken Champagner und vergessen alles.“
„Wirklich?
Und du meinst wirklich, das geht?“
„Ja,
Liebesný, ganz bestimmt, es kann nichts passieren!“
Auch
ich hatte mir ein Kostüm anfertigen lassen. Als Alchimist mit mittelalterlichen
Schnabelschuhen sah ich sehr gut aus. - „Schau mal, du darfst gar keine
Angst haben. Wenn dir jemand zu nahe kommt, zerstampfe ich ihn sofort
hier in dem Mörser.“ - Sie lächelte und rückte wieder an ihrer Maske.
- „Magst du mich so?“ - Sie drehte
sich vor mir. Ihr Kleid war wie für ein Märchen
gemahlt, aus
leuchtenden
Orchideenblüten zusammengesetzt und über und über
mit schimmerndem Glasschmuck bestickt. Die Blätter
waren mit Perlen belegt, und das Bustier war aus Goldfäden gewirkt. Wir
würden das schönste Paar auf dem Fest sein.
Sie sah wirklich aus wie eine exotische Orchidee,
nur noch schöner.
Ich
wollte endlich mit ihr raus ins Zentrum des Trubels. „Du wirst die schönste
Blume sein, mit der ich je getanzt habe, ich schwöre es.“
Im Taxi fuhren wir zum „Gürzenich“. Dort gab es jedes Jahr einen großen Karnevalsball. Eigentlich war das nicht weit vom Hotel, aber die Stadt war aufgewirbelt wie von einem Orkan, - es war ein Tollhaus.
Der Fahrer mußte dauernd betrunkenen Teufeln, Nonnen und anderen Wilden ausweichen. Sie küßten sich alle gegenseitig, warfen mit Knallkörpern und einige reichten uns Biergläser in den Wagen.
Einmal, im dichtesten Gedränge drückte ein Gespenst seine Nase
gegen die Autoscheibe und die Prinzessin erschrak ein wenig.
Im „Gürzenich“ war in allen Sälen die Hölle los. Es gab Karibik-Bars mit halbnackten Mädchen, Mädchen als Weinfässer mit dem Spundhahn am Bauchnabel, Tankstellen mit Platan-Bier, Luftballons in allen Farben
und Kulissen mit Wäldern und Wüsten aus Afrika und
Trinidad.
In einem Pool mit rosagefärbtem Wasser schwammen Frauen
als Nixen, und „Haie“, das waren die Männer, versuchten sie zu fangen.
Tarzan trug seine Jane zum Lagerfeuer, Wahrsagerinnen und
Zauberer boten ihre Dienste an und an einer Champagner-Bar
spielte
tatsächlich ein Kamel Saxophon.
In Pappkulissen konnte man seinen Kopf durch Öffnungen stecken.
Wir ließen uns im Urwald mit Affen und Schlangen fotografieren.
Dann gingen wir zu einer Band und ich ließ meine Prinzessin
tanzen.
Zum ersten Mal blickten alle auf uns - wie gebannt.
Sie konnte tanzen, wirklich! - als wäre sie nicht von dieser
Welt.
Wenn sie sprang, schien sie zu schweben und ihr Kleid bauschte
sich
wie ein Blütenkelch. So etwas hatte hier noch keiner gesehen.
„Die ist wohl betrunken!“, hörte ich einen dicken Napoleon
rufen.
Die Prinzessin hatte es gehört und schaute mich furchtsam
an. - „ Du kannst tanzen wie du willst,“ - sagte
ich laut, und zu dem „Napoleon“ blickend: „Wir dürfen genauso verrückt sein
wie alle hier, der ist selbst betrunken!“ Er blickte böse, sagte aber nichts.
Ich führte die Prinzessin an die Seite, wo die Band spielte. Sie spielten
gut und meine Blume schmiegte sich in meinen Armen und wir waren glücklich.
Die Musik war prickelnd wie der Champagner, den wir tranken. Die Klänge
gelangten verführerisch in unsere Nervenbahnen und erzeugten dort zarte
Schwingungen. Ich spürte ihre heiße Haut an meinem Arm.
Sie war ein wenig erschöpft von ihrem Tanz und ich führte
sie an
die Bar und bestellte noch eine Flasche roten Champagner.
„Wie fühlst du dich?“ fragte ich. „Es ist ganz wunderbar“,
antwortete sie und blickte mich mit glücklichen Augen an. In mir spürte
ich eine Woge von Wärme, Zärtlichkeit und grenzenloser Liebe aufsteigen
und
in einem Schauer von Glück dachte ich an alles, was wir
schon erlebt hatten. Wie durch einen Glashimmel funkelten Millionen Sterne
auf uns herab. Sie berührte wieder meine Hand. Wir standen ganz still und
waren uns sehr nah. Durch all die Musik und das Lachen hindurch hörten wir
unsere Herzen schlagen. - Wir standen lange so.
„Wollen wir gehen?“, sagte sie.
„Ich möchte so gerne mit dir allein sein.“
Sie schwankte ein wenig an meinem Arm und lachte:
„Ich bin gar nicht mehr gewohnt, so glücklich zu sein.“
Auf dem Weg zur Garderobe torkelte uns der „Napoleon“ direkt vor die Füße. Er hatte seine Maske abgelegt und war häßlich.
„De-mas-kie-rung“, lallte er, „jetzt ist Demas-kierung - alles runter, ausziehen!“ und er hielt meine Prinzessin an der Schulter.
„Laß sie los, sofort!“ rief ich von der Garderobe herüber, und wäre er nicht so betrunken gewesen, hätte ihn meine Stimme gelähmt.
„Ja, gleich!“ rief der häßliche Zwerg. „Aber erst will ich sehen, was unter dem Blümchen steckt.“ Ich sprang auf ihn zu, aber zwischen uns
standen Leute, und bevor ich ihn erreichen konnte, hatte er ihr die Maske vom Gesicht gezogen. –
Mit dem schrillen Aufschrei eines Irren fiel der „Napoleon“ auf die Knie. Er hatte noch nie einer Prinzessin aus der GALAXIE -TAMANGURIA ins Gesicht gesehen. –
Die Prinzessin stand da - erstarrt!
Über ihr liebliches violettes Gesicht rollten tiefrote Tränen der Scham, und ihre goldenen Adern pulsierten heftig unter ihren Wangen.
Auf ihrem Planeten war sie das schönste Mädchen.
Warum nur? Wie konnten Erdmenschen so auf sie reagieren?
Ich schob den Wicht mit dem Fuß zur Seite und nahm meine Prinzessin in die Arme.
„Liebling schnell, bitte bring mich weg hier!“ flüsterte sie voller Scham und Unglück. Ich fühlte mich schwach und hilflos und Tränen stiegen auch mir in die Augen. - Ich bedeckte das Gesicht meiner Geliebten mit der Maske und führte sie behutsam zum Ausgang.
Im Taxi schmiegte sie sich eng an mich.
Wir sprachen kein Wort und weinten.
13. Januar 2001 - Claudio
de Ceola - „Karneval in Köln“
Aus dem Zyklus:
„Lieder, Gedichte und
Geschichten für Männer in Ekstasen
und anderen e r w e i t e r t e n Zuständen.“
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